Kampagnen der Bürgerplattformen

Die Themen und Ergebnisse der Bürgerplattformen sind ebenso vielfältig wie die Menschen, die dort mitwirken. Folgende Beispiele verdeutlichen die Wirksamkeit.

Kundgebung 3.2.2023Wohnortnahe muslimische Gräberfelder (2023; Berliner Bürgerplattformen)

Der Mangel an muslimischen Begräbnismöglichkeiten ist noch immer virulent in Berlin. Nach den Erfahrungen in Neukölln 2018 wollen wir einen längerfristigen Prozess für mehr muslimische Gräberfelder in der Stadt anstoßen. Die Kundgebung am 3. Februar 2023 kurz vor den Senatswahlen fand große mediale Resonanz und öffnete Türen in den Berliner Senat.

Antidiskriminierungskampagne (2021; Stark! im Kölner Norden)

Seit Mitglieder aus Gruppen der Bürgerplattform von diskriminierenden Selektionsverfahren bei einem Kölner Fitnessstudioanbieter berichteten und 2020 eine Kampagne begannen, lässt das Thema die Bürgerplattform STARK! im Kölner Norden nicht mehr los. Aufgrund der Vielfältigkeit an Erfahrungen von Alltagsdiskriminierung, die im Zuge der Recherchen deutlich wurden, beschloss die Plattform, die Kampagne auf breitere Füße zu stellen, weitere Organisationen der Zivilgesellschaft hinzuzugewinnen und geschlossen auf die Kommunalpolitik zuzugehen – denn um Diskriminierung erfolgreich zu bekämpfen und anzuzeigen braucht es zunächst strukturelle Veränderungen, wie die eigenen Erfahrungen gezeigt hatten.
Das Bündnis forderte, die freien Antidiskriminierungsberatungsbüros besser finanziell auszustatten, die schon lange in der Erarbeitung befindliche Antidiskriminierungsrichtlinie für die Kölner Verwaltung zu verabschieden und Sanktionsmechanismen für diskriminierende Unternehmen der Privatwirtschaft zu entwickeln.
Am 9.11. wurde im Kölner Rat der Haushalt für das Jahr 2022 beschlossen. Darin enthalten ist eine Erhöhung des Zuschusses für die Antidiskriminierungsbüros um 100.000€. Außerdem wird der städtische Etat zur Förderung von antirassistischen und rassismuskritischen Projekten um weitere 50.000€ erhöht und Gelder für eine Personalstelle in der Kölner Verwaltung bereitgestellt, an die sich von Rassismus und Diskriminierung betroffene Personen wenden können. Damit ist eine erste der drei Forderungen an die Kölner Kommunalpolitik erfüllt worden.

Jobcenter (2021; Duisburger Bürgerplattform DUaktiv)

Bereits zur Gründung der Duisburger Bürgerplattform DUaktiv im Februar 2020 zeigte sich, dass viele Bürger*innen im Umgang mit Duisburger Behörden Schwierigkeiten hatten. Deshalb wurde zu Beginn der Plattformarbeit wurde ein Behördenteam ins Leben gerufen. Schnell stellte sich heraus, dass Bürger*innen in Corona-Zeiten insbesondere Probleme mit der Erreichbarkeit des Duisburger Jobcenters hatten, sodass sich das Aktionsteam zunächst auf diese Behörde konzentrierte.

Zum 1. Juni 2020 übernahm Frank Böttcher als neuer Geschäftsführer die Leitung des Jobcenters und zeigte sich sehr offen gegenüber der Gesprächsanfrage von Vertreter*innen der Bürgerplattform. Es folgten drei konstruktive Gespräche des Geschäftsführers, einer Bereichsleiterin und der Pressesprecherin mit DUaktiv. Am 15. März 2021 unterzeichnete Frank Böttcher eine 4-Punkte-Vereinbarung mit der Bürgerplattform. Darin sagt die Geschäftsführung des Jobcenters zu, weiterhin regelmäßige Gespräche mit den Vertreter*innen von DUaktiv zu führen, einen konkreten Ansprechpartner mit direkter Durchwahlnummer für DUaktiv zu benennen, die Ombudsleute des Jobcenters persönlich vorzustellen, sowie für eine schnellere und direkte Erreichbarkeit der Sachbearbeiter*innen für Kund*innen, die nicht in der Lage sind, Online-Dienste in Anspruch zu nehmen, zu sorgen. Um den Erfolg auch in Lockdown-Zeiten dokumentieren zu können, wurde ein Video gedreht, das u.a. die Unterzeichnung des 4-Punkte-Plans festhält.

Diskriminierung in Kölner Fitnessstudios (2020; Stark! Im Kölner Norden)

Köln ist eine weltoffene Stadt. Doch trotzdem gehören diskriminierende Erfahrungen leider zum Alltag vieler Kölner*innen. Ein Bespiel dafür sind die Erfahrungen, die besonders junge, vielleicht als migrantisch, muslimisch oder auch arabisch gelesene Menschen immer wieder machen. Um konkrete Verbesserungen zu erreichen, suchten wir daher das Gespräch mit der Geschäftsführung vor allem einer Kölner Studiokette, bei der besonders häufig von Ablehnungen berichtet wird. Doch wie schon bei anderen vor uns, die das Thema ansprechen wollten, wurde unsere erste Gesprächsanfrage schlicht ignoriert. Doch es gibt bei vielen Akteur*innen den Wunsch nach Veränderung. Mit 20 weiteren zivilgesellschaftlichen Gruppen sprachen wir die Betreiber nochmals an. Durch eine bekannte Kölner Medienrechtskanzlei ließ die Geschäftsführung unsere Aufforderung zum Gespräch ablehnen. Gleichzeitig äußerte sie sich aber in dem Schreiben ausführlich und gab an, dass die Vorwürfe „schlicht falsch“ seien. Wir haben allerdings mit sehr vielen persönlich Betroffenen gesprochen und ihre Geschichten gesammelt, haben konkrete Vorschläge und möchten weiterhin mit der Geschäftsführung konstruktiv ins Gespräch kommen. Darüber hinaus haben wir in den letzten Monaten viele gute Gespräche mit der kommunalen Politik geführt, darunter auch mit der Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker, die ihre Unterstützung zugesagt hat. Gemeinsam machen wir uns STARK gegen Alltagsdiskriminierung!

Thema Kommunal–und Integrationsratswahlen (2020; Stark! Im Kölner Norden)

Köln kann sich über eine höhere Wahlbeteiligung bei den Kommunal–und Integrationsratswahlen freuen! Ein guter Erfolg, an dem STARK! im Kölner Norden und die Demokratiewerkstatt im Kölner Norden tatkräftig mitgearbeitet haben. Zunächst haben wir uns beim Online-Seminar per Videokonferenz und Lernplattform „fit für die Wahlen 2020“ gemacht. In der anschließenden Kampagne „Viele Gründe, eine Botschaft: Wählen gehen!“ haben über 40 Menschen und Gruppen Gesicht für die Wahl gezeigt und ihre Botschaften für das Wählen geteilt. Wir haben drei aus-führliche persönliche Gespräche mit den stärksten Oberbürgermeister-KandidatInnen, Henriette Reker (parteilos), Andreas Kossiski (SPD) und Jörg Detjen (Die Linke) geführt. Sie alle haben die weitere Zusammenarbeit zugesagt. Geflüchtete haben mit uns das Deutsche Wahlsystem kennengelernt. Der „Kommunal-Wal“ war unterwegs, hat für Aufmerksamkeit gesorgt und Wahl-Aktionen begleitet. Schlüsselinformationen wurden per Messenger direkt in die Hosentaschen der (Erst-) Wählerinnen und Wähler geteilt.

Kita Kampagne in Berlin

In den Jahren 2017-19 haben die Berliner Bürgerplattformen an der Verbesserung der Kindertagesbetreuung in Berlin gearbeitet. Hintergrund war der akute Kitaplatzmangel, der auch viele Mitgliedsgruppen unmittelbar betroffen hat. Da das Kitaplatzproblem ganz wesentlich durch den Fachkräftemangel verursacht wird, ging es bei der Kampagne darum, den Zugang zur Ausbildung der Erzieherin bzw. des Erziehers zu erleichtern. Die Bürgerplattformen haben sich dafür eingesetzt, dass die praktische Eignung der Person zu einem wesentlichen Kriterium für den Zugang zur Berufsausbildung gemacht wird. Mit dem 2+2 Modell hat die Senatsverwaltung diesen Vorschlag zumindest in Teilen übernommen. Außerdem erreichten die Bürgerplattformen, dass sich mehr Mitarbeiter um die Anerkennung von ausländischen Berufsabschlüssen können, so dass mehr Menschen schneller in den Beruf kommen können. Das alles wurde in mehreren Aktionen und Verhandlungen mit der Staatssekretärin Jugend und Familie, Sigrid Klebba, durch die Menschen der Berliner Bürgerplattformen erreicht.

Fähre F11 (2019; SO! MIT UNS)

Die BVG-Fährlinie F11 stellt eine wichtige Verbindung für den Personennahverkehr zwischen Oberschöneweide und Baumschulenweg dar. Insbesondere die Anlieger der drei Gartenkolonien Wilhelmstrand, Freibad und Oberspree nutzen die Fähre regelmäßig, denn sie stellt die kürzeste Verbindung zum S-Bahn-Netz dar. Ende 2017 sollte eine neue Spree-Brücke, die Minna-Todenhagen-Brücke, fertig gestellt werden. Nach Fertigstellung der Brücke wollte der Senat von Berlin den Fährbetrieb einstellen. Die Bürgerplattform SO! MIT UNS setze sich aufgrund akuter Bedarfe für den Erhalt der Fähre F11 und erreichte in Verhandlungen mit dem Senat die erneute Aufnahme der Fähre in den Nahverkehrsplan und somit den Erhalt der Verbindung.

Muslimische Grabfelder (2018; WIN – Wir in Neukölln)

Nach jahrelangen Bemühungen der Bürgerplattform WIN – Wir in Neukölln gibt es einen weiteren muslimischen Friedhof in Neukölln. Am 31.08.2018 beging die Bürgerplattform WIN gemeinsam mit Bezirksbürgermeister Martin Hikel (SPD) in Anwesenheit von 250 Personen aus Mitgliedsgruppen und Gästen die Eröffnung des ersten Gräberfeldes für muslimische Bestattungen auf dem Lilienthalfriedhof Neukölln. Langfristig werden ca. 1600 Muslime auf dem Lilienthalfriedhof ihre letzte Ruhe finden können.

„Ich bin erleichtert und stolz, dass wir Muslime, Christen und Atheisten das gemeinsam geschafft haben.“ (Ali Taouil, Al-Irschad e.V.)
„Mein Vater, selber Flüchtling aus dem Baltikum und vor einigen Jahren verstorben, hätte mein Engagement unterstüzt.“ (Katja Neppert, Ev. Kirchengemeinde Nikodemus)

Unterstützung der Einführung des islamischen Religionsunterrichts (2017; Stark! im Kölner Norden)

Bereits seit seit Ende 2011 ist in Nordrhein-Westfalen die Möglichkeit für den islamischen Religionsunterricht (IRU) gesetzlich gegeben, nur war der Unterricht in der Stadt Köln im Verhältnis zur Anzahl der Muslime und den eingereichten Elternwünschen unzureichend vorhanden. Vor allem im Kölner Norden bot zeitweise nur eine Grundschule IRU an. Im Rahmen der Kampagne ist es gelungen, drei zusätzliche IRU-Lehrer einzusetzen (eine Neueinstellung über einen Quereinstieg am Dreikönigs-Gymnasium in Köln-Bilderstöckchen und zwei Qualifizierungen an der Henry-Ford-Realschule in Köln-Seeberg).

Verbesserung der Wohnsituation in der Siedlung „Im Mönchsfeld“ in Köln-Roggendorf/Thenhoven (2016; Stark! im Kölner Norden)

Das „Mönchsfeld“ ist die Heimat von mehr als 1.000 Bewohnern in Köln-Roggendorf/Thenhoven gegenüber der S-Bahn Haltestelle Köln-Worringen. Gebaut in den 1960er Jahren als Erweiterung des bestehenden Dorfkerns, sollten mehrgeschossige Sozialbauten helfen, die Wohnungsnot in den Griff zu bekommen. Aufgrund der Vernachlässigungen des letzten Eigentümers waren die Gebäude in den letzten 20 Jahren in einem schlechten Zustand. Gemeinsam mit den Bewohner/-innen und dem neuen Eigentümer, der Vonovia, wurden konkrete Verbesserungen umgesetzt: Reparaturen an Dächern und Eingangsbereichen sowie in den Wohnungen, höhere Sicherheit durch einen Sicherheitsdienst, Verhinderung „wilder“ Sperrmüllablagerung sowie bessere Kommunikation durch die Schaffung eines Mieterbüros. Im Anschluss an die Kampagne wurde zudem der innenliegende Spielplatz erneuert und feierlich neueröffnet.

Ärztemangel (2015; SO! MIT UNS und Wir in Neukölln)

Eine Analyse der ärztlichen Versorgung in Treptow-Köpenick ergab eine unterdurchschnittliche, zum Teil mangelnde Versorgung in mehreren Facharztdisziplinen. Hinzu kam eine sehr ungleiche Verteilung der Hausärzte über die bewohnten Gebiete des größten Stadtbezirkes. Die geschilderte Situation machte es dringend notwendig, sich um eine Normalisierung bzw. zunächst Verbesserung der ärztlichen Versorgung zu bemühen. Insbesondere aufgrund der Altersstruktur und der damit verbundenen Mobilitätseinschränkungen war eine wohnortnahe hausärztliche Versorgung besonders dringlich. In Verhandlung mit der Kassenärztlichen Vereinigung Berlin und der Senatsverwaltung für Gesundheit wurde erreicht, dass sich Fachärzte nicht mehr grundlos aus schlecht versorgten Gebieten in besser versorgte wechseln dürfen und nach einer zweijährigen Testphase eine Evaluation der Wahl der Praxisstandorte durchgeführt. Außerdem wurden innerhalb von drei Jahren mehrere neue Arztsitze in schlecht versorgten Gebieten ausgeschrieben. Das alles wurde mit dem „Letter of Intent“ festgehalten, an dem die Berliner Bürgerplattformen mitgearbeitet haben.

Jobcenter (2012; Wir sind da – Bürgerplattform Wedding/Moabit)

Viele der knapp 40 Gruppen der Bürgerplattform hatten Mitglieder, die selbst oder deren Angehörige, Nachbarn, Bekannte von Arbeitslosigkeit betroffen sind. Aus diesen Geschichten ist der Bedarf entstanden, die Situation im Jobcenter Mitte zu ändern. In Verhandlung mit dem damaligen Geschäftsführer des Jobcenters, der Vertreterin der Agentur für Arbeit und dem Bezirksstadtrat wurden in Folge konkrete Verbesserungen erreicht:  So ist die Mitarbeiterzahl ist von 636 im Januar 2009 auf die Sollstärke von 831 im Dezember 2009 erhöht worden. Die Mitarbeiter wurden mit den Schwerpunkten Beratungskompetenz und Interkulturelle Kompetenz geschult. Die Eingangszone wurde personell verstärkt.  Die Mitarbeiter erteilen nun Leistungsempfängern des Jobcenters Mitte auch telefonisch zahlreiche Auskünfte, wie z.B., wie der Bearbeitungsstand der eigenen Anträge ist. Fragen zu Mehrbedarf, Fahrtkosten, Kosten der Unterkunft etc. werden beantwortet. Termine im Jobcenter können vereinbart werden oder Auskünfte über die Öffnungszeiten, das Mitbringen von Unterlagen und das Ausfüllen der Anträge eingeholt werden.

Gründung des Regionalmanagments (2009; „Menschen verändern ihren Kiez“ – Organizing Schöneweide (heute: SO! MIT UNS)

Nach der Ansiedlung der HTW in Schöneweide war schnell klar, dass es eine zentrale Stelle (Regionalmanagment) geben muss, die die wirtschaftliche Entwicklung des Gebiets voranbringen kann. Dazu standen EU-Gelder bereit. Allerdings war eine Bedingung für die Förderungsbewiligung durch die EU, dass durch den Bezirk ein Eigenanteil von 150.000,- € beigetragen werden muss. Die Bürgerplattform hat es mit der Unterstützung der Unternehmen im Umfeld geschafft, dieses Geld zu organisieren. Somit hatte auch der zögerliche Bezirk keine Möglichkeit mehr, den Antrag auf Förderung durch die EU zu verweigern. Es wurde ein Regionalmanagement etabliert. Die Ansiedlung von großen Betrieben und die Entstehung von Arbeitsplätzen konnte vorangebracht werden. Heute ist Schöneweide ein lukrativer Standort für zukunftsorientierte Unternehmen.

Maßgebliche Mitwirkung an der Standortkonzentrierung der HTW Berlin (2001-2009; Menschen verändern ihren Kiez – Organizing Schöneweide, heute: SO! MIT UNS

Die Bürgerplattform „Menschen verändern ihren Kiez“ – Organizing Schöneweide (heute: SO! MIT UNS) hat maßgeblich daran mitgewirkt, dass in dem Berliner Stadtteil Oberschöneweide auf einer Industriebrache eine Hochschule für Technik und Wirtschaft mit 9.000 Studierenden und einem Investitionsvolumen von 110 Mio. Euro angesiedelt werden konnte. So wurde ein Kristallisationskern für die Weiterentwicklung eines durch Deindustrialisierung und Jobabbau stark betroffenen Stadtteils geschaffen.